„Können wir heute mal gleich spielen?“ –
Freies Spiel und gruppenanalytische Haltung in der Gruppenanalyse mit Kindern und Jugendlichen – Ein Betrag aus der Praxis

Vortrag von Hans Georg Lehle, gehalten auf der Online-Werkstatt-Tagung der VAKJP am 22.01.2022

„Können wir heute mal gleich spielen?“ Die Frage des 10-jährigen Jungen hatte deutlichen Aufforderungscharakter, v.a. durch den unausgesprochenen aber dennoch deutlich mitschwingenden Nachsatz: „statt hier noch ewig lange herumzuhocken und nur zu reden!“ Voller Unruhe und Ungeduld wollte der Bub diesmal die „Einführungsrunde“ im klassischen Stuhlkreis zur kindergruppenanalytischen Sitzung mit fünf etwa gleichaltrigen Jungen einfach überspringen und gleich in die Spielphase einsteigen. Das Stillsitzen fiel heute allen besonders schwer. Die Kinder – die meisten von ihnen zeigen eine klassische ADHS-Symptomatik – schien nichts mehr auf ihren Stühlen halten zu können. Sie turnten darauf herum, ließen sich herunter purzeln oder hopsten lauthals schreiend und wie aufgezogen herum. Das schiere Chaos – übrigens aktuell, wie ich finde, auffällig verstärkt durch die coronabedingte, pathogene, soziale Deprivation!
In solchen Momenten könnte ich mich wie ein Löwendompteur im Zirkus fühlen: „Jeder zurück auf sein Podest!“ Oder zumindest wie ein Dompteur im Flohzirkus, geht es doch augenscheinlich mehr ums Einfangen, um begrenzende Leitplanken, um strukturierende Disziplin! Was entsprechend dem tradierten Sprachgebrauch aus der Gruppentherapie mit Erwachsenen gemeinhin Guppen-„Sitzung“ genannt wird, wird dem turbulenten Geschehen einer gruppenanalytischen Kindergruppe nicht annähernd gerecht. Eine Kollegin, wie ich analytische Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin, die, wie die meisten von uns, ausschließlich im Einzelsetting arbeitet und von ihrem benachbarten Behandlungsraum bereits am Lautstärkepegel erkannte, dass bei mir mal wieder Kindergruppe ist, fragte mich etwas spöttisch: „Na, machst du heute wieder Kindergeburtstag?“

Nun, das trifft es in gewisser Weise auf den Punkt: Denn – wenn alles gut geht, und das gelingt nicht immer – haben bei einem solchen Gruppen-Fest alle Geburtstag.
In solchen Momenten kann die Versuchung für eine Kindergruppenleitung groß sein, in den pädagogischen Werkzeugkasten zu greifen: Grenzen setzen!? Ja schon, aber wie? Strukturierende Angebote einbringen!? Mmh. Samuel Slavson, der als Begründer der Kindergruppentherapie gilt, hat in den 40er Jahren zwischen libido-bindendem und libido-aktivierendem Spielmaterial unterschieden und – je nach Störungsbild – mit älteren Kindern und Jugendlichen in sogenannten „Aktivitäts-Aussprache-Gruppen“ oder reinen Aktivitätsgruppen gearbeitet. Das gibt schon eine Orientierung, aber ließe sich das überhaupt mit dem anspruchsvollen Konzept der Minimalstrukturierung aus der Gruppenanalyse mit Erwachsenen vereinbaren? Wir Kindertherapeuten kennen ja die Frage zur Genüge: Ist das noch analytisch? Ritualisierte Hilfsmittel, wie das sogenannte „Redeholz“, das von Rüdiger Haar und Horst Wenzel in ihrem jüngst erschienenen Buch zur psychodynamischen Kindergruppentherapie vorgestellt wird – nur wer es in den Händen hält, darf reden – helfen jedoch in solchen spannungsgeladenen und sich schnell aufschaukelnden Situationen nicht wirklich. Diesmal kam die Lösung glücklicherweise aus der Kindergruppe selbst: „Können wir heute mal gleich spielen!“
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